Viele Kamerahersteller beschneiden Ihrer preiswerteren Serien künstlich um Funktionen, die die günstigere Hardware durchaus leisten könnte. Schließlich muss der Aufpreis zu den Top-Modellen begründet sein.
Eine löbliche Ausnahme ist hier Olympus. Der Hersteller aus Japan versieht auch seine Einsteigermodelle mit Features, die sonst oftmals nur den teureren Modellen vorbehalten sind. Und so kam es, dass meine Neugierde auf Funktionen wie 4k-Video, Live Composite, Multi Exposure oder Digital Shift durch das aktuelle Modell Olympus Pen E-PL9 geweckt wurde.
Sucht man im Netz nach Erfahrungsberichten und Testaufnahmen aus der PL9, so wird man neben den einschlägigen Testseiten auf auffallend vielen weiblichen Fashionblogs fündig. Mein Eindruck wurde nach kurzer Zeit mit der spitzzüngigen Bezeichnung „Tussikamera“ der Bloggerin Silvana vom kalteschnauze-blog.de zum Vorgängermodell bestätigt. Nicht grundlos, denn die schicke und kompakte Kamera, die in verschiedenen Farben erhältlich ist, macht nicht nur in schneeweiß eine hübsche und vor allem extrem stylische Figur.
Ich bestellte mir die schwarz-silberne Variante mit dem originalen Kitobjektiv. Mit umgerechnet 28 bis 84 Millimetern deckt es die gängigen Brennweiten auf dem verhältnismäßig großen MFT-Sensor ab.
Eigentlich mag ich einfache und übersichtliche Kameras. Mit der Leica X2, bei der man quasi nur ISO, Belichtungszeit und Blende mit eigenen Elementen einstellen konnte, war ich bedientechnisch bereits völlig zufrieden. Die Olympus besitzt zwar auch einige ergonomische Bedienhilfen, der wirkliche Funktionsumfang wird jedoch erst im Kontext der Untermenüs deutlich. Aus diesem Grund griff ich diesmal zu einem Helferlein und besorgte mir ein Buch zur Kamera aus dem Hause Franzis.
Mann und Handbuch? Ja, dies mag ein ungewöhnlicher Schritt sein; aber es ist ja eigentlich eine „Tussikamera“. 😉
Oder ist es vielleicht doch eine Kamera, die auch „ganze Kerle“ benutzen? Die Auflösung der zugegeben etwas provozierenden und nicht ernstgemeinten Frage kommt gleich! Auf jeden Fall ist das Buch zur Klärung einiger mir unbekannten Funktionen sehr sinnvoll. Ich werde in einem gesonderten Beitrag noch einmal ein paar Worte über die illustierte Anleitung verlieren.
Ausgepackt und in der Hand zeigt sich die Kamera als wahrer Handschmeicheler. Die Kamera erscheint sehr hochwertig und sauber verarbeitet. Zu einem Straßenpreis von ca. 500 Euro bekommt man eine Menge Kamera für sein Geld. Meine SIGMA DP1S ist sicherlich nicht für jedermann geeignet. Im Gegensatz zur lichtschwachen und langsamen SIGMA ist die Olympus eine Rakete. Zur Erinnerung: Die DP1S braucht nicht nur viel Licht, sondern bekommt nur Objekte scharf, die sich nicht schneller als ein Baum bewegen.
Mit beiden Kameras ging es dann raus; ein paar Aufnahmen machen. Und hier zeigt sich die PL9 von einer sehr guten Seite. Die Probeaufnahmen waren extrem scharf und tendenziell etwas wärmer abgestimmt als die alte SIGMA. Auf Internetgröße reduziert sind die Vorteile von 16MP nicht so deutlich, aber durchaus vorhanden. Fokussiert und ausgelöst habe ich mit dem klappbaren Touchdisplay. Dies ermöglicht auch Aufnahmen aus tieferen Positionen.
Ein paar Aufnahmen ohne künstlerischen Anspruch aus der Olympus Pen E-PL9 und SIGMA DP1S zum Vergleich (jeweils bei ca. 28mm Brennweite KB):
Warum habe ich die Olympus E-PL9 jedoch zurückgesendet?
Meine Beweggründe sind sehr individuell:
Auf der einen Seite ist das Display durchaus hell und deutlich. Bei direkter Sonneneinstrahlung kommt aber auch diese Anzeige an Ihrer Grenze. Für diese Fälle ist dann ein elektronischer Aufstecksucher die erste Wahl und auch Lösung. Doch gerade diesen optionalen EVF hat das aktuelle Modell PL9 eingespart. Während man an den Vorgängern den elektronischen Sucher erwerben und aufstecken konnte, wurden die Kontakte und somit die Möglichkeit von Olympus wegrationalisiert. Diesen Schritt kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Ein weiterer Punkt ist die Verarbeitung der RAW-Files. Ich bin kein Fan des Adobe Lightroom-Mietmodells. Ich möchte meine Software auch dann noch einsetzen können, wenn es zum Beispiel einen Adobe-Lizenzserver nicht mehr gibt. Viele von uns kennen Geschichten, wo Software nicht mehr funktioniert oder installiert werden kann, weil zwischenzeitlich durch Pleite oder Umfirmierung der notwendige Lizenzserver nicht mehr betrieben wird. Ich möchte diese Diskussion um Vor-und Nachteile der Abo-Modelle jetzt nicht entfachen. Ich selbst habe mich jedoch entschieden, meine als Vollversion erworbene Lightroom-Version 6 bis auf Weiteres zu nutzen. Und diese letzte als Kaufversion erhältliche Software kann mit den neuen RAW-Files der PL9 leider noch nichts anfangen. Natürlich kann ich den Umweg über eine vorzeitige Umwandlung des RAWs in DNG durch den kostenfreien Adobe-RAW-Converter gehen. Dies wäre jedoch eine Abweichung von meinem gewohnten Workflow und für mich ein zusätzlicher Aufwand. Ich habe mich deshalb entschieden, die Kamera nicht zu behalten.
Während ich mich mit dem fehlenden Sucher vielleicht noch abgefunden hätte, macht die Kombination mit dem zu neuen RAW-Format für mich persönlich eine zu große Einschränkung. Dies ist sehr schade, denn Hersteller wie Pentax zeigen mit dem optional auf DNG umschaltbaren RAW-Format, dass es auch anders geht. Bekanntlich werden die verlustfreien DNG-Bilder von allen gängigen Anwendungen unterstützt.
Doch sind dies nun direkte Kritikpunkte für die Kamera? Sicherlich nicht. Die eingesparte EVF-Option hätte ich im Vorfeld recherchieren können. Das nicht unterstützte RAW-Format kann man mit dem Converter umgehen.
So sollte es also nichts werden mit mir und der Olympus Pen E-PL9. Dann halt doch „typisch Tussi-Kamera“! 🙂
PS. Die Kamera habe ich selbst gekauft (wenn auch zurückgesendet) und wurde mir NICHT von Olympus zur Verfügung gestellt. Dieser Beitrag ist keine bezahlte Werbung und stellt meine eigene und ehrliche Meinung dar.